Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS)
Institut für Deutsch als Fremdsprache (DAF)
Internationales Forschungszentrum Chamisso (IFC)
Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit (IFM)
Bewerbungsschluss: 31. Januar 2018
Website: www.mehrsprachigkeit.info
Kontakt: mehrsprachigkeit2018@ikgs.de
Die sprachliche und kulturelle Vielfalt sowie sprachpolitische Komplexität der Habsburgermonarchie wirkt sich nicht nur bis heute auf weite Teile Zentraleuropas aus, sondern liefert gleichzeitig viele Beispiele für den Umgang mit Sprachenvielfalt, Plurikulturalität und Pluriethnizität. Sprach- und bildungstheoretische Diskurse, herrschaftliches Handeln und alltägliche Lebenswelten werden in diesem Zusammenhang durch eine widersprüchliche Koexistenz von Pluralität und Vereinheitlichungsbestrebungen bestimmt. Im Zentrum der Modernisierungs- und Nationalisierungsprozesse, die den Vielvölkerstaat prägen, steht das Problem der sozialen Ordnung. Dies hat wiederum Folgen für das Verhältnis des mehrsprachigen Individuums zu den individuell wie kollektiv wirksamen Verwaltungsakten und für die Herausbildung politischer Ideologien. In diesen Kontexten werden auch die sozialen, politischen und ‚lebensweltlichen‘ Aspekte der Mehrsprachigkeit in Abhandlungen zur Sprachphilosophie, Logik und Ästhetik sowie in sozialwissenschaftlichen und ethnologischen Texten reflektiert.
Den von ideologischer Ausdifferenzierung und sozialem Wandel geprägten Ambivalenzen auf wissenschaftlicher, philosophischer und politischer Seite steht der praktische Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt gegenüber. Betroffen davon sind einerseits individuelle und kollektive, zumal lokal verortete, Phänomene der Mehrsprachigkeit, wie sie sich etwa in Archivquellen und literarischen Zeugnissen niederschlagen, und andererseits Fragen zur konkreten Umsetzung sprachpolitischer Konzepte in Schulen, Universitäten und anderen Bildungsinstitutionen sowie die Rekonstruktion des tatsächlichen Sprachgebrauchs in den unterschiedlichen Domänen.
Die komplexen Themen bedürfen der Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche in historischer, wissenschaftsgeschichtlicher, linguistischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei soll auch der heuristische Mehrwert einer verstärkten Kooperation zwischen linguistisch-empirischer Erforschung von Mehrsprachigkeit und historischen Untersuchungen zur Diskussion gestellt werden, wie sie vornehmlich Literatur- und andere Geisteswissenschaften praktizieren. Darüber hinaus setzt sich die Tagung zum Ziel, die Fruchtbarkeit ihrer Erkenntnisse für den Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt im gegenwärtigen Europa zu diskutieren.
Willkommen sind Themenvorschläge zu den folgenden Bereichen und ggf. auch darüber hinaus:
I) Sprachpolitik und Herrschaft:
- politisches, legistisches und exekutives Handeln (z. B. die Bildungsreform der Jahre 1848–1853, Schulgesetzgebungen)
- Sprach(aus)bildung und Verwaltung: Schule, Universitäten; linguae francae, Amtssprachen und Minderheitenpolitik
- Interferenzen über den habsburgischen Herrschafts- und Einflussraum hinaus sowie vergleichende Perspektiven (z. B. mit dem Deutschen Reich)
II) Mehrsprachigkeit und Alltagswelt, Mehrsprachigkeit in literarischen Texten:
- Auswirkungen der habsburgischen Sprachpolitik im Bereich des institutionellen Sprachhandelns
- Mehrsprachigkeit als literarisches Phänomen: als Stil- und heuristisches Mittel der Literatur, Mehrsprachigkeit als Topos in Texten, Sprachwechsel im Literaturbetrieb
- Einsatz von Sprache(n) und Varietäten in unterschiedlichen Domänen; Hochsprache vs. Dialekte; Publizistik
- Alltägliche und literarische Formen der Sprachpraxis als Ausdruck des Widerstands gegen die Obrigkeit
- Linguistische Phänomene: Transfer, Entlehnung, Sprachmischung etc.
III) Wechselwirkungen mit der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte:
- Reaktion der Wissenschaften sowie literarisch-künstlerischer Werke auf staatliche Ordnungskrisen
- Wechselwirkung zwischen staatlicher Disziplinierung und wissenschaftlicher Modernisierung
- Sprachphilosophie, Logik, Ästhetik, Psychologie, Soziologie und Ethnologie in ihrer jeweils spezifisch „habsburgischen“ Prägung
IV) Langfristige Auswirkungen:
- Mehrsprachigkeit im postimperialen Kontext der Zwischenkriegszeit: staatliche Neuorientierung und Minderheitenschutz, Auswirkungen der ethnonationalen „Wiedergeburt“ in den Nachfolgeländern der Habsburgermonarchie
- Sprachgeschichtliche Argumentationsstrategien nationalistischer, faschistischer und nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaftspraxis
- Sprache und kulturelle Prägung als Aspekt und Argument von Migrations- und Integrationspolitik (z.B. im Kontext von Flucht und Vertreibung im und nach dem Zweiten Weltkrieg)
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch, passive Deutschkenntnisse sind erforderlich.
Bitte senden Sie Ihr Abstract (PDF, maximal 300 Wörter) und einen kurzen Lebenslauf bis zum 31. Januar 2018 an mehrsprachigkeit2018@ikgs.de.
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